Im Spiegel VI: Vocal — Instrumental Concert

On April 22, 2022, one of Switzerland’s most significant composers, Alfons Karl Zwicker, celebrated his 70th birthday.

Zwicker’s broad range of genres — from monumental symphonies and operas to vocal cycles and chamber music — is marked by an engagement with universal, existential questions.

The anniversary concert at Tonhalle St. Gallen features vocal and instrumental works by the composer.

Thanks to outstanding musicians, including Ukrainian star pianist Antonii Baryshevskyi and Elena Zhunke, one of the finest violinists in St. Gallen, the audience will have a unique opportunity to experience Zwicker’s lyrical “Postludes” from 1996 in a new way. In contrast, the later instrumental work “Stations” addresses human suffering.

The world premiere of the vocal cycle “Des Schicksals Gestalt” (The Shape of Fate), based on texts by his father Alfons Zwicker, completes the experience. Each of the five songs is accompanied by a different instrument, forming a musical trio together with the piano.

The concert features top Swiss musicians alongside the Ukrainian star pianist.

Alfons Karl Zwicker began his professional career as a painter and designer. He created several paintings that were exhibited between 1973 and 1980. Zwicker then studied piano from 1976 to 1981 with Hadassa Schwimmer at the Winterthur Conservatory and from 1983 to 1987 with Werner Bärtschi in Zurich. From 1984 to 1988, he completed composition studies with Rudolf Kelterborn at the Music Academy of the City of Basel.

Afterwards, he initially appeared as a performer of new music and worked as a song accompanist. To promote contemporary music, in 1987 he founded the IGNM music series Contrapunkt in St. Gallen and directed this concert series until 1993.

From 1990 onward, Zwicker became active as a composer. In 1993, he attended a masterclass with Edison Denisov in Lucerne and in 2000 became a member of the composer group Groupe Lacroix. With this group, he realized a music project dedicated to Paul Klee. As part of the Œuvres Suisses project, he composed the work Unter dem Grabhügel (“Under the Burial Mound”) for saxophone and orchestra for the St. Gallen Symphony Orchestra, which premiered in February 2015 at the Tonhalle St. Gallen with soloist Vincent Daoud (saxophone) under the direction of Otto Tausk.

«…wo die Worte keine Macht haben, können die komplexesten
menschlichen Gefühle durch Klang ausgedrückt werden».
A.K. Zwicker

Alfons Karl Zwicker
Postludien (1996/97), für Violine und Klavier

The Postludes are short character pieces. Each piece refers to a drawn variation of the treble clef. Inherent in them are a hidden joke, humor mixed with a touch of irony, and a bit of wistfulness.

Der perfekte, schön gezeichnete Violinschlüssel.

Die Musik ist bemüht, eine schöne und richtige Melodie zu gestalten, mit einer eben solchen Begleitung – aber…

Violinschlüssel mit etwas traurigem, verschrecktem Gesicht. Soll ich mich, darf ich mich zeigen – oder eben doch nicht? – Zögerndes Kommen – ständiges Zurücknehmen – ach, es ist alles so schwierig…

Violinschlüssel, geschmückt mit Blumen, farbig, duftend (für Hochzeit, Geburtstag oder ein Begräbnis?).

Durchaus nostalgische Romantik in Kombination mit einer Neoromantik. Das könnte eine Neon-Leuchtreklame und eine Coca-Cola-Romantik sein: harte Rhythmen einerseits und Oasen wohlklingender Harmonien…

Violinschlüssel als kriechende Schnecke, nach Nahrung lechzend.

Was für einen Dimension für eine Schnecke, die gedenkt, einen Randstein zu erklimmen – und welches Ausmaß der Aufgabe, eine kleine Terz zu erklettern, um endlich ans Ziel zu gelangen…

Ein brennender, fast schon auseinander brechender Violinschlüssel. Das Feuer steigt empor – es kann nicht lange auf derselben Ebene bleiben – es ist aktiv und dominant und erträgt keinen Stillstand – es ist instabil – es ist nicht die Art des Feuers, sich an vorgegebenem zu orientieren – Feuer ist das Prinzip des Eigenwillens und der Eigengesetzlichkeit. – Dies alles verleiht der feurigen Entität etwas Dramatisches und Intensives.

– O weh – das Feuer erlischt…


Alfons Karl Zwicker
Stationen (2019), für Viola, Violoncello und Klavier

Das Stück Stationen bezieht sich auf Tagebucheinträge von Dag Hammarskjöld,

die nach seinem Tod durch das Attentat im Kongo unter dem Titel Zeichen am Weg veröffentlicht wurden. – Die Stationen markieren sensitive Punkte auf dem Leidensweg des zweiten UNO-Generalsekretärs. Dieser Leidensweg verstrickt sich zunehmend im Kongo-Konflikt und führt hin zur letzten Station, zu dem bis heute nicht aufgeklärten, resp. unter Verschluss gehaltenem Attentat. Hammarskjölds „Kreuzweg“ endet mit dem Flugzeugabsturz in den Weiten des Kongo.

Der kühlen und distanzierten Art des Schweden, seinem Märtyrertum und seinem schwierigen Kampf für den Frieden, wird in den Stationen 4, 7 und 9 („Station“ 9 unvollendet) das beschwörende und zugleich höchst intellektuelle Wirken des „Kontrahenten“ Lumumba entgegengesetzt.

Das Stück steuert auswegslos auf den Fluchtpunkt des gemeinsamen Schicksals der beiden Protagonisten zu, auf den „Absturz“ der Diplomaten-Maschine und die Liquidation Lumumbas.

Um es mit den Worten Ludo De Witte`s zu sagen, die einem seiner Bücher über den belgischen Kolonialismus den Titel geben: Regierungsauftrag Mord: der Tod Lumumbas und die Kongo-Krise.


Alfons Karl Zwicker
Der Schicksals Gestalt (1989/2020-2021), für Mezzosopran und Ensemble URAUFFÜHRUNG

Dieser Gesangszyklus für Mezzosopran und sechs Instrumente beruht auf fünf Gedichten meines Vaters.

In jedem Gedicht wird eine Form menschlichen Schicksals präzisiert, immer in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehung.

Die fünf Gesänge erklingen als variable Trios. Zur Singstimme und den Klavierklängen, die während des ganzen Zyklus präsent sind, gesellt sich in jedem neuen Gesang ein anderes Soloinstrument dazu; nämlich Violone (Gesang I), Viola (Gesang II), Flöte (Gesang III), Bassklarinette (Gesang IV) und Violoncello (Gesang V).

In einem äusserst komprimierten und verdichteten Epilog formieren sich die Soloinstrumente mit der Gesangsstimme und dem Klavier zu einem Ensemble, in Form eines Septetts. In dieses Septett ist auch die Gesangsstimme integriert, als absolut musikalische Grösse, frei von semantischer Botschaft.

Das Stück ist meinem Vater gewidmet. Ein halbes Jahr nach der Uraufführung der Urfassung ist er unverhofft verstorben.

AKZ 2021
Texte: Des Schicksals Gestalt (Alfons Zwicker sen.)

I
Meine Worte wollen mein Herz forttragen
und Gedanken mit auf den Weg geben
dir Blumen schicken
und die Wangen streicheln –
Meine Worte
aber
sind gefangen
in Handschellen

II
Schweigen rieselt durch das Stundenglas
die Zeit häuft sich
nicht die Gedanken –
Wer erlöst die Stummheit
führt ein Gespräch mit dem Flüstern?
Wer zerbricht das Glas
in dem die Worte unausgesprochen liegen?

So sprich doch Schweigen mit dem Stummsein
und das Geheimnis klingt leise im Glas.

III
Ich weiss dich fern von hier
Der Verstand misst und begreift die Distanz
Er kennt die Hügel, die trennen
die Wälder am Hang
den Schatten der Bäume
auch die Sterne am schwarzen Himmel — —
Doch das Gefühl
Das lebendge Gefühl blickt durch das Fenster –
und dies immer und immer wieder –
immer wieder — — —

IV
Zwischen uns Nebelschleier die sich ab und zu heben
Wenn dann klar im Bild wir uns sehen
Trifft uns ein Schauern…..
Das Schicksal hat Gestalt angenommen
es steht als Mensch vor dem Menschen.

V
Nur was niemals begann
braucht keinen Abschied zu fürchten
was nie ins Leben trat
strebt keinem Ausgang zu.
Aber die Liebe, die Liebe
sie glaubt nicht daran
Sie lebt tausend mal tausend Monde
in leeren, in vollen, in wechselnden Monden…
Und käme ein Abschied
dann bersten die Himmel!
Mit stürzenden Monden fällt Liebe ins Nichts…