In der Tonhalle St.Gallen: Faszinierendes Porträt eines faszinierenden Neuerers
Im Rahmen der St.Galler Kulturreihe «Cosmokultur» war am letzten der drei Anlässe (unter dem Motto «Hoffnung») am Samstag das Gringolts Quartett mit Gästen zu hören. Mit eindrücklichen Interpretationen von Arnold Schönbergs «Verklärter Nacht» und seinem vierten Streichquartett.
UKRAINE-KRIEG

Das Zürcher Gringolts Quartett.
Arnold Schönberg ist leider nach wie vor kein Publikumsmagnet: Gerade einmal dreissig Zuhörer fanden gestern den Weg in die Tonhalle St.Gallen für den Auftritt des Zürcher Gringolts Quartetts. Aber diese wenigen Kammermusikfreunde kamen in den Genuss eines absolut begeisternden Abends, eines strahlenden Porträts eines bis heute spannenden Neuerers in der Geschichte der Musik. Arnold Schönbergs Zwölftontechnik mit der völligen Gleichberechtigung der zwölf Töne findet in seinem vierten Streichquartett op. 37 einen Höhepunkt ihrer Ausformulierung
Das Gringolts Quartett (Ilya Gringolts und Anahit Kurtikyan, Violinen, Silvia Simionescu, Viola, und Claudius Herrmann, Violoncello) spielt dieses Quartett so hochexpressiv wie hochanalytisch. Leidenschaft und Durchsichtigkeit lösen sich schon im komplexen, dichten ersten Satz ab. Hier ist ein Quartett unterwegs, das Schönberg mit Verve und Lust spielt, mit Begeisterung und mit genauem Wissen um die Zwölfton-Strukturen. Die vier sind intensiv zusammen unterwegs, da gibt es keine Partie, in der nicht alles dicht verfugt und verbunden wäre.
Ein perfekter Staffellauf zu viert
Schönbergs Musik ist durchaus klassisch aufgebaut und gedacht. Und es gibt neben der Gleichberechtigung der zwölf Töne im vierten Streichquartett auch die völlige Gleichberechtigung der vier Instrumente. Das Gringolts Quartett zeigte quasi einen Staffellauf, auch einen der rhythmischen Strukturen und der hochexpressiven und spätestens ab dem zweiten Satz auch durchgängig lyrisch gedachten Klangideen. Das Quartett spielt (ausser dem Cellisten) stehend, was noch mehr Freiheit auch im Gestischen ermöglicht (die tiefen Streicher in der Mitte sorgen für eine weitere klangliche Ausgewogenheit).
Diese Schönberg-Interpretation ist bei diesem Quartett eine echte Hingabe. Die vier lieben, kennen, verstehen und durchdringen diese anspruchsvolle Musik spürbar. Eine Musik, die an der Tradition andockt und doch musikalische Ideen auf eine neue Art auch logisch-gedanklich durchdringt und ausformuliert. Emotion und Architektonik verbanden sich in dieser Interpretation jedenfalls aufs intensivste.
Welch weiten Weg Schönberg bis zu diesem vierten Streichquartett zurückgelegt hat, zeigte der zweite Teil des von der St.Galler Schauspielerin Diana Dengler moderierten Abends. Zum Gringolts Quartett kamen die zweite Bratschistin Lily Francis und der zweite Cellist Christian Poltéra hinzu. Für das traumhafte Streichsextett «Verklärte Nacht», ein früher Geniestreich von Arnold Schönberg. Das Sextett gestaltete diese Musik mit einer wunderbaren Eindringlichkeit, sowohl, was die nächtliche Naturstimmung angeht als auch, was die emotionale Intensität dieser Geschichte eines Paares angeht.
Musikalische und instrumentale Magie
Mehr und mehr zog diese Interpretation das Publikum in Bann, mit feinsten Klangstrukturen und Klangmixturen, mit feinsten dynamischen Abstufungen und mit viel Zeit und Raum für diese intensiv aufgeladene Stimmung dieses vertonten Gedichts von Richard Dehmel, in dem ein Mann seiner von einem anderen Mann schwangeren Frau die Liebe zu diesem ungeborenen Kind verspricht. Wunderbar, wie dieses Sextett die musikalischen Emotionen aufbaute, durchleuchtete, Stimmungen zusammensetzte und wieder zerfliessen liess, mit einer musikalischen und instrumentalen Magie, die in jedem Moment fesselte. Kurz: Der gesamte Abend geriet zu einem Schönberg-Porträt der Extraklasse.
Für 2022 kündigt der St.Galler Kulturverein Cosmokultur bereits neue Ideen an. Unter dem Motto «Im Spiegel» stehen zwei Geburtstage im Zentrum: Der ukrainische Komponist Valentin Silvestrov wird 85, der St.Galler Komponist Alfons Karl Zwicker wird 70 Jahre alt. Und der letzte Abend der diesjährigen Reihe zeigte eine Kulturidee, der spannende Entdeckungen auf höchstem interpretatorischem Niveau gewährte.